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Pestflucht, Projektor und dunkle Wissenschaft

Während der Schließung erarbeitete das Uniseum drei neue Ausstellungsbereiche

 

Die Corona-Pandemie hat dem kulturellen Leben einen herben Schlag versetzt. Museen, Theater und Kinos mussten im Lockdown ihre Türen schließen und nahmen den Betrieb im Sommer nach und nach wieder auf. So auch das Uniseum der Albert-Ludwigs-Universität. Bei den steigenden  Infektionszahlen - Freiburg ist Mitte Oktober 2020 zum Corona-Hotspot erklärt worden - ist noch nicht abzusehen, in welcher Form sich das kulturelle Leben im Herbst und Winter abspielen wird. Dürfen Besucherinnen und Besucher kommen? Oder werden die heimischen Wohnzimmer wieder zu Kinos umfunktioniert und die Museen auf virtuelle Rundgänge umsteigen müssen?

Komme, was wolle: Das Uniseum hat die Schließung genutzt, um sein Angebot zu überarbeiten. In den vergangenen Wochen sind drei neue Ausstellungsbereiche entstanden. „Diese bieten spannende Einblicke in die Universität zur Zeit der Pest, in die anatomisch- anthropologische Sammlung sowie in den Akademischen Filmclub“,
sagt Kuratorin Sandra Haas. Zusätzlich nutzt sie verstärkt digitale Kanäle, um auf die Schätze des Uniseums aufmerksam zu machen. Dazu gehört zum Beispiel eine Serie auf dem Instagram-Kanal der Universität Freiburg, die jeden Mittwoch ausgewählte Exponate und ihre Hintergründe präsentiert: „Das sind natürlich nur kleine Einblicke in unseren Bestand, aber so können wir zumindest unsere virtuellen Türen geöffnet halten“, sagt Haas.

Obwohl die derzeitige Pandemie die Universität Freiburg vor Herausforderungen stellt, ist es nicht das erste Mal, dass eine Seuche den Betrieb stört. „Die Mitglieder der Universität Freiburg flohen in früheren Zeiten immer wieder vor Pestausbrüchen und suchten etwa in Villingen Unterschlupf“, erzählt Haas. Von der Mitte des 15. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts wütete die Pest mindestens 16-mal in Freiburg. Der Verlust von Professoren und Studenten, die an der Krankheit starben, und der Rückgang der Immatrikulationen brachten die Universität in große Schwierigkeiten. Zunächst versuchten Professoren und Studenten vereinzelt und auf eigene Faust, der Pest zu entkommen. Doch mit der Zeit veränderte sich das Fluchtverhalten: Aus dem zunächst unorganisierten Weggang aus der Stadt wurde im Laufe der Pestepidemien eine geplante, institutionalisierte Übersiedlung an einen gemeinsamen Ort. „Die kleine, temporäre Ausstellung zeigt, dass die Universität schon früher aufgrund von Epidemien gezwungen war, ihren Betrieb einzustellen oder zu verlagern“, sagt die Kuratorin, „wenn auch nicht ins Digitale, sondern in den Schwarzwald.“

 

Eine neue Ära des Films

Neu ins Uniseum eingezogen ist als Dauerleihgabe des Akademischen Filmclubs der Kinoprojektor „Zeiss Ikon Kinobox“ aus den 1930er Jahren. Mit solch einem Gerät reisten früher Filmvorführende von Ort zu Ort und verwandelten jeden beliebigen Raum in einen Kinosaal. Der Akademische Filmclub Freiburg kaufte den Projektor, mit dem erstmals Filme im 35-mm-Kinostandardformat vorgeführt werden konnten, 1962. „Obwohl die Box nur circa drei Jahre in Gebrauch war, markierte sie den Beginn einer neuen Ära studentischer Filmvorführungen“, sagt Haas.

Die inhaltlich umfangreichste Neuerung kann das Publikum an einem sechseckigen Ausstellungstisch entdecken, der die 2019 neu gestaltete Ausstellungswand zu Alexander Ecker ergänzt, einem ab 1850 in Freiburg tätigen Anatomen und Anthropologen, der die umstrittene Sammlung begründete. Diese beinhaltet zum Teil menschliche Überreste, deren Erwerb aus heutiger Sicht als ethisch und wissenschaftlich problematisch gilt. Wie soll die Universität mit diesem Erbe umgehen? Welche Bedeutung wird der Sammlung zugewiesen? Was soll in Zukunft mit ihr geschehen?

 

Sechs Perspektiven an einem Tisch

Der Tisch präsentiert hierzu sechs verschiedene Perspektiven: Unterhalb der Tischplatte sind sechs Schubladen eingelassen, in denen die Sichtweisen der Universität, der Anthropologie, des Universitäts archivs, der Plattform freiburg-postkolonial.de, der Herkunftsgesellschaften und der Wissenschaftsgeschichte anhand von Texten und Objekten erläutert werden. „Die so überarbeitete Einheit beleuchtet das Thema der Sammlung sowie Alexander Ecker kritisch und nimmt aktuelle Erkenntnisse und Perspektiven auf“, resümiert die Kuratorin. Und die Aufarbeitung geht weiter: Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste fördert ein neues Vorhaben, bei dem Freiburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Provenienz menschlicher Überreste aus der anatomisch-anthropologischen Sammlung erforschen werden.

 

von Annette Kollefrath-Persch

Erschienen in uni'leben 03/2020 (S.8)